Schreiben als Berufung: Rückblick in die Kindheit

Wird jedem Menschen vor der Geburt eine Lebensaufgabe zugeteilt? Oder auch mehrere, wenn man mit vielen Talenten gesegnet ist? Je länger ich meine bisherigen Stationen analysiere, desto klarer sehe ich: Schon in meiner Kindheit hat sich Schreiben als Berufung herauskristallisiert.

Nach der Einschulung machen wir als erstes Schwingübungen, um die Handschrift zu trainieren. Den Dreh habe ich bald raus, so dass ich den Buchstaben spätestens ab der dritten Klasse einen individuellen Look verpasse. Den ändere ich im Laufe der Zeit ein paar Male ab, bis ich bei meiner heutigen Klaue lande. Eine akkurate Schönschrift war nie meine Stärke, es sei denn, ich gebe mir wirklich Mühe.

Schreiben als Berufung und kreatives Chaos

Aufsätze liegen mir viel besser. Ich erinnere mich an eine Hausaufgabe irgendwann im Winter. Zwischen Schulschluss und Mittagessen rotzt mein Füller mit Tintenflecken und wilden Streichungen eine Wintergeschichte aufs Papier. Bis kurz vor dem Abi habe ich weder Lust noch das nötige Sitzfleisch, um mich lange mit Schulaufgaben zu befassen. Am Nachmittag will meine Mutter plötzlich meinen Aufsatz begutachten, obwohl sie sonst nicht so streng ist, ständig meine Hefte zu kontrollieren.

„Was ist denn das für eine Schlamperei?“, regt sie sich auf und fängt an, die Buchstaben zu entziffern. Auf einmal lobt sie mich: „Das hast du richtig toll gemacht, aber das schreibst du jetzt noch mal ordentlich!“

Widerwillig setze ich mich zurück an den Schreibtisch und das ist vielleicht auch besser für mein Zeugnis. Bis zum Ende der vierten Klasse bekommen wir Noten in „Schrift und Form“. Wie ich es meist mit Ach und Krach zu einer schlappen Zwei bringe, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich habe eine Klassenkameradin namens Maren. Niemand ist in der Lage, die Schönheit ihrer Schrift zu toppen. Streichungen macht sie fein säuberlich mit dem Lineal. Ich dagegen lasse den Kuli doppelt und dreifach übers Papier schweifen. Bis heute!

Schreiben in der Schule
Kind lernt Schreiben, Foto: StockSnap /Pixabay

Erste eigene Geschichten

Im deutschen Schulsystem, das Kindern weismacht, in allem gleich gut sein zu müssen, nagt es an meinem Ego, dass meine Handschrift nicht annähernd so „schön“ aussieht wie die von Maren. Dafür heimse ich aber oft bessere Noten für die Inhalte meines Gekritzels ein.

Das beschränkt sich in der vierten Klasse längst nicht mehr auf die vorgegebenen Aufsatzthemen. Ich erfinde kleine Geschichten, zu denen ich mit Filzstiften Bilder male. Meine allerersten „Bücher“ handeln von meinem Bruder. Eines dieser Werke ist extrem autobiographisch und heißt „Arne und der abgebrochene Mercedes-Stern“.

Zum Inhalt: Wir machen Familienurlaub am Bodensee. Mein überaus intelligentes zweijähriges Bruderherz kann schon supergut sprechen und kennt alle gängigen Automarken auswendig. Besonders heiß ist Arne auf Mercedes und bricht – oh Schreck – gleich nach der Ankunft am Reiseziel im Vorbeigehen einen Mercedes-Stern von einem parkenden Auto ab. Wie schafft der Knirps das bloß, sich zur Motorhaube hochzuziehen? Hat meine Mutter ihn auf dem Arm getragen? Dieses Detail habe ich vergessen.

Die Anekdote schenke ich aber meiner heißgeliebten Klassenlehrerin am Ende der Vierten zum Abschied. Leider existiert nur eine Kopie davon und ich kann die Dame auch nicht mehr fragen, wie ich als Zehnjährige über Ereignisse fabuliert habe. Sie ist 2003 gestorben – viel zu früh.

Schreiben als Beruf
Schreibtisch eines Texters, Foto: ThoughtCatalog / Pixabay

Buchprojekte als Teenager

Spätestens mit 14 betrachte ich Schreiben als meine Berufung. Inzwischen habe ich die typischen Sorgen einer Pubertierenden und denke mir Teenager-Liebesgeschichten aus. Die packe ich in einen Umschlag und schicke sie an den Rowohlt-Verlag – auch ohne jemals Kopien davon gemacht zu haben. Der Verlag hat mir nie geantwortet.

Und was tue ich nach dieser Niederlage? Krönchen richten und weiterschreiben. Ein Jahr später verkünde ich meinem Deutschlehrer am Gymnasium: „Herr Fehler, ich schreibe ein Buch!“

Ja, richtig gelesen, der gute Mann heißt wirklich Fehler und glotzt mich verdattert an. Mein Romanprojekt dreht sich um ein sechzehnjähriges Mädchen namens Babette, das von zu Hause ausreißt. Ich vollende es nie. Wohl deshalb, weil ich nur vom Abhauen träume.

Schreiben in der Gegenwart

Und ich fantasiere weiter, wovon man ein paar ältere Spuren in den Suchmaschinen des WWW findet. Auch meine erotischen Geschichten auf Amazon und Co. zeigen, dass ich Schreiben als Berufung erlebe und nicht gewisse andere Tätigkeiten, wie schon einige meiner Kritiker von mir behauptet haben. Zurzeit lege ich meinen Schwerpunkt aufs Bloggen, doch bevor ich diesen Körper verlasse, werde ich auch die eine oder andere Bestseller-Liste erklimmen. Zurzeit warte ich nur noch auf eine zündende Idee. (as)

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