Wannsee

Wolkenberge brauen sich über dem Wannsee zusammen. Tief hängen sie über dem Wasser, als wollten sie vom Himmel stürzen und darin versinken. Graue Schwaden verdichten sich zu einem düsteren Anthrazit, eine kräftige Böe fegt Richtung Ufer. Ihre nackten Füße stecken im Sand, eiskalte Nässe benetzt ihre Haut. Zwei Frauen in Bikinis tollen am Strand herum.

„Hey, lass uns baden gehen!“, ruft die eine.

„Ja, gute Idee!“, antwortet die andere.

Während die ersten Regentropfen aus den Wolken fallen, rennen sie den Wellen entgegen. Der aufkommende Sturm scheint den Wannsee in ein tosendes Meer zu verwandeln.

„Los, komm mit ins Wasser!“, krakeelt eine der beiden Badenixen.

Sie spürt Zigarettenstummel zwischen ihren Zehen. Angewidert zieht sie den rechten Fuß aus dem Sand und tritt in eine Plastikflasche. Aus dem Röhricht ragen deformierte Bierdosen und weggeworfene Einkaufstüten.

„Mist, ich habe meine Badelatschen zu Hause vergessen“, denkt sie laut und reibt sich ihre bloßen Arme, die vor Kälte zittern.

„Na los, das Wasser ist super!“, schallt es aus einem der Frauenmünder.

Sie geht in die Hocke, breitet die Arme aus und springt. Eine Böe zieht ihren Körper in die Höhe. Der Wind trägt sie über den See, der sich mit jedem Schlag ihrer nicht existenten Flügel blauer färbt. Die Wolkenmassen lösen sich auf. Aus türkis leuchtenden Fluten lugen weiße Felsen, die so glatt wirken, als habe sie jemand geschliffen. Sanfte Luftmassen streicheln ihre Haut im Flug. Sie landet auf einer Felseninsel mit einer leichten Vertiefung, die sich wohltemperiert an ihren Rücken schmiegt. Nachdem sie sich eine Weile auf ihrer natürlichen Liege gesonnt hat, gleitet sie ins klare Wasser und blickt beim Schwimmen auf den Grund.

„Ich wusste gar nicht, dass es am Wannsee solche Ecken gibt“, sagt sie zu sich selbst. Dann dreht sie sich auf den Rücken und schaut in den wolkenlosen Himmel, während sie sich entspannt durchs warme Nass treiben lässt. (as)

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