Gudrun Pausewang ist tot. Die Schriftstellerin starb am 23. Januar 2020 mit knapp 92 Jahren. 2015 veröffentlichte sie ihr letztes Buch „Heldengedenken“, zwei Jahre später wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Ein langes Leben und eine beachtliche Karriere, im Laufe derer mich die Autorin stark zum Nachdenken angeregt hat. Als ich zwölf Jahre alt bin, legt mir meine Mutter zu Weihnachten das Taschenbuch „Die letzten Kinder von Schewenborn“ unter den Tannenbaum.
Die Handlung: Während eine Frankfurter Familie zur Zeit des Kalten Krieges auf dem Weg zu den Großeltern im fiktiven Städtchen Schewenborn ist, explodieren über Deutschland Atombomben. Oma und Opa wurden offenbar im rund 30 Kilometer entfernten Fulda ausradiert. Die restlichen Familienmitglieder müssen sich fortan mit dem Leid der Verwundeten, radioaktiver Strahlung und knapper werdenden Lebensmitteln auseinandersetzen.
Gudrun Pausewang schrieb für Frieden und Umweltschutz
Gudrun Pausewang publizierte diese schockierende Geschichte 1983. Die deutsche Friedensbewegung ging gerade gegen Pershing-Raketen auf die Barrikaden, ein Jahr zuvor hatte Schlagersängerin Nicole beim Grand Prix Eurovision de la Chanson zu „Ein bisschen Frieden“ aufgerufen und gewonnen. Im Roman wird das Lied kurz aufgegriffen – in einem traurigen Kontext, der die Ausweglosigkeit der Überlebenden des Atomkriegs düster verdeutlicht.
Ich verschlinge das Buch und fühle mich betroffen. Das schafft Gudrun Pausewang auch mit ihrer literarischen Antwort auf die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl. Im Jugendroman „Die Wolke“ (1987) erzählt sie von einem fiktiven Super-GAU in einem Atomkraftwerk im Norden von Bayern. Die 14-jährige Janna-Berta wird zum Strahlenopfer und ich bin mit 13 kurz davor, zu einer Vorgängerin von Greta Thunberg zu mutieren. Zwar nur in meiner Gedankenwelt, doch zumindest rütteln mich Gudrun Pausewangs Plädoyers für Frieden und Umweltschutz extrem auf.
1993 fällt mir ihr Roman „Der Schlund“ in die Hände. Nachdem Anfang der 90er Jahre Neonazis Asylantenheime in Städten wie Mölln und Hoyerswerda angegriffen haben, ersinnt die Autorin den Aufstieg eines neuen rechtsextremen Regimes Anfang der 2000er. Es gibt jedoch noch keine Partei, die mit A beginnt und auf D endet. Noch werden keine Kommunikationskriege in (a)sozialen Medien geführt. Heute wirkt das Thema aktueller denn je!
Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg
Aber woher rührte Gudrun Pausewangs unermüdliche Mission, die Jugend so überspitzt über drohende Gefahren aufzuklären? Ein Blick in ihre Biographie liefert eine naheliegende Antwort. Am 3. März 1928 in Ostböhmen geboren, erlebte sie als Kind den Nationalsozialismus und musste nach Kriegsende Richtung Westdeutschland fliehen. Zuvor war ihr Vater an der Front gefallen.
Sie fand in Hessen eine neue Heimat, wurde nach dem Germanistik-Studium Grund- und Hauptschullehrerin und unterrichtete mehrere Jahre in Mittel- und Südamerika. Nach ihrer Rückkehr tat sie das noch bis 1989 in der hessischen Stadt Schlitz, die als Vorlage für Schewenborn diente.
Eine Begegnung mit der Schriftstellerin
Jahre nach ihrer Pensionierung habe ich einmal das Glück, Gudrun Pausewang zu begegnen. Sie hält eine Lesung an meiner Schule. Während niemand in der Klasse etwas mit ihren Büchern am Hut hat, freue ich mich total über ihren Besuch. Meine zu dem Zeitpunkt beste Freundin und ich huschen als Allererste in die Aula und suchen uns einen Platz in einer der vorderen Reihen. Hinterher marschiere ich schnurstracks zum Lesepult, lobe die Schriftstellerin für ihr Werk und plaudere ein bisschen mit ihr. Sie lächelt mich herzlich an und signiert mir „Die letzten Kinder von Schewenborn“. (as)